Zielbahnhof Gentrifizierung?

Zielbahnhof Gentrifizierung?

Oder: Wohin geht die Reise bei der geplanten Modernisierung des Familienheim eG-Areals im Quartier am Wiehre-Bahnhof?

Wiehre für alle – Bewohner*innen Initiative für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum

Ausführliche Analyse auch als PDF verfügbar: Zielbahnhof_Gentrifizierung.pdf

Am 14.06.2017 erhielten die Bewohnerinnen und Bewohner in rund 300 Wohnungen der Familienheim Freiburg Baugenossenschaft eG im Quartier am Wiehre-Bahnhof per Post die Nachricht von einer geplanten Modernisierung des dortigen Gebäudebestands in den kommenden Jahren. Angekündigt wurde für die Sommermonate die Begehung der Wohnanlagen durch Gutachter und Planer.

Als Folge dieser Ankündigung bildete sich „Wiehre für alle – die Bewohner*innen Initiative für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum“, die auf den Planungsprozess Einfluss nehmen will. Als erster Schritt wurde ein Schreiben an den Vorstand der Genossenschaft mit zentralen Anliegen der Betroffenen in Bezug auf die Planungen formuliert: Erhalt der Gebäude, Erhalt der leistbaren Mieten und der diversifizierten Struktur der Bewohnerschaft, Beteiligung am Planungsprozess. Unterzeichnete Exemplare wurden im Juli und August an den Vorstand versandt. Mit Stand vom 22.08.2017 hatten den Brief Mitglieder aus mehr als zwei Dritteln der genannten Wohneinheiten unterschrieben, darunter alle acht betroffenen Mitgliedervertreter der Genossenschaft.1

Mit Schreiben vom 15.08.2017 reagierte der Vorstand auf diese Aktion in einem Brief an alle rund 300 Wohneinheiten mit folgenden Worten: „Wir sind uns Ihrem Anliegen und der besonderen Situation in dieser Wohnlage bewusst und wissen, dass wir mit der Bestandsentwicklung behutsam umgehen müssen. Dabei müssen wir jedoch die Kernaufgabe einer Wohnungsbaugenossenschaft im Blick haben, nämlich nachhaltig und langfristig die Gebäude auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Auch wir sind daran interessiert, den Dialog mit Ihnen, unseren Mieterinnen und Mietern, zu führen und werden Sie so rechtzeitig wie möglich über die Planungen in Ihrem Quartier informieren. Neben unserer schriftlichen Korrespondenz haben wir deshalb auch Informationsveranstaltungen in 2017 sowie 2018 für unsere Mieterinnen und Mieter geplant.

Anstatt einer Einladung zu einer Informationsveranstaltung erreichte die Mitglieder im gesamten Areal kurz darauf mit Schreiben des Vorstands vom 20.09.2017 die Ankündigung, dass „[s]trukturelle und planerische Notwendigkeiten“ den Abriss der Häuser Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 (insgesamt 42 Wohneinheiten) ab 2019 erfordern würden und mit weiteren Maßnahmen ab 2021 zu rechnen sei.

Diese Entwicklungen haben mittlerweile auch medial Niederschlag gefunden: ein erster Artikel samt Kommentar wurde am 02.10.2017 in der Badischen Zeitung (BZ) abgedruckt.2 Die Vorstandsvorsitzende des Familienheims Freiburg Anja Dziolloß wird in dem Bericht in Bezug auf den geplanten Abriss der Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 folgendermaßen zitiert: „Unser Satzungsauftrag ist, unseren Wohnbestand zeitgemäß zu erhalten.

Abgesehen davon, dass der Satzungszweck der Genossenschaft „die Förderung und Betreuung ihrer Mitglieder in der wohnlichen Versorgung […]“ ist, hier demnach das Wort ‚zeitgemäß’ gar nicht vorkommt, so lohnt es sich dennoch, einige Gedanken darauf zu verwenden, was mit diesem sehr unbestimmten Begriff in Bezug auf genossenschaftlichen Wohnbestand in Freiburg verbunden werden könnte.

Neben der grundsätzlichen, impliziten Beurteilung der Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 als nicht mehr zeitgemäß, spricht Frau Dziolloß gegenüber der BZ ganz konkret ein Merkmal der Wohnungen an: Ihnen fehle die Barrierefreiheit und dies sei ein Problem bei der Altersstruktur der derzeitigen Bewohnerschaft. Ausgangspunkt für die einschneidende Entscheidung zum Abriss der Gebäude ist damit unter anderem dieses von Seiten des Vorstands ausgemachte konkrete ‚Defizit’ für die derzeitigen Bewohnerinnen und Bewohner. In dem Schreiben vom 20.9.2017 versicherte der Vorstand den Betroffenen: „Wir möchten weiterhin und auch langfristig den Interessen unserer Mitglieder gerecht werden.“ Aber kennt der Vorstand diese auch? Die im Planungsgebiet wohnenden Mitglieder jedenfalls wurden nicht nach ihrem Befinden und ihren Bedürfnissen gefragt. Und bei den etwa 300 betroffenen Wohneinheiten handelt es sich immerhin um etwa 11,4% der 2.700 Wohneinheiten der Familienheim Freiburg Baugenossenschaft eG. In der Fachliteratur ist zu einem solchen Vorgehen zu lesen: „Je tiefer die Identifikation der Mitglieder mit dem gemeinschaftlichen Eigentum reicht, desto größer wird der Einsatz des einzelnen Genossen für die Substanzpflege und Substanzsicherung sein. Für dieses genossenschaftliche Selbstbewusstsein ist der Ausbau des Informationsflusses zwischen der Geschäftsleitung und den Mitgliedern notwendig. Der Vorstand muss die Mitglieder, um deren Interesse zu wecken und um deren Vertrauen zu gewinnen, häufiger, besser und umfassender unterrichten als früher. Es müssen Möglichkeiten der Teilhabe im Vorfeld geschäftspolitischer Entscheidungen angeboten werden. Dabei sollten die Mitglieder, deren Wohn- und Lebensbedürfnisse gründlicher und stärker zu erforschen sind, häufiger nach ihrer Meinung gefragt werden. Denn was Wohnqualität und das Wohnumfeld angeht, sind die Mitglieder, weil sie selbst betroffen sind, besonders sachkundig. […] Deshalb sind diese anzuhören. Zumindest ist ihre Stimmung zu erkunden. Mit anderen Worten: Die Geschäftsführungsorgane müssen ihre Entscheidungen insgesamt stärker ‚mit dem Ohr an der Mitgliedschaft’ treffen, damit die Mitglieder das gemeinsame Wohnen nicht nur als soziale Sicherheit, sondern auch als Chance zu mehr Lebensqualität verstehen. Mitgliedernahes Management ist also gefragt.3

Im Gegensatz zum Vorstand hat „Wiehre für alle“ eine Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner im ganzen Quartier inklusive der Quäkerstr. durchgeführt.4 Diese zeigte, dass der Abriss der Gebäude mit Nichten Wunsch der Bewohnerschaft in der Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 ist. Bei einer Rücklaufquote des Fragebogens von Zwei-Dritteln ergab die Befragung, dass dort 89% der Bewohnerinnen und Bewohner mit dem derzeitigen Zustand der Gebäude zufrieden ist (4%) bzw. mit einer einfachen Sanierung zum Bestandserhalt (85%) zufrieden wäre. Weitere 11% wären mit einer Teilsanierung beispielsweise zur Verbesserung der energetischen Situation der Gebäude einverstanden (siehe Abbildung 1 im Anhang). Niemand kreuzte die im Fragebogen angebotene Möglichkeit „Abrisses und Neubau“ an. Dass der geplante Abriss dem Wohle der Bewohnerschaft dient, kann demnach klar verneint werden. Dies steht in Zusammenhang mit der fehlenden Möglichkeit vieler dort lebender Menschen, sich die Mieten eines Neubaus moderner Ausstattung leisten zu können. So ergab die Befragung für die Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 ebenfalls, dass in der Summe 96% der Antwortenden sich keine Mietsteigerung (29% der Antwortenden), lediglich eine geringe Steigerung der Mieten um bis zu 10% (46% der Antwortenden) bzw. eine begrenzte Steigerung um bis zu 20% leisten könnten (21% der Antwortenden). Für lediglich 4% wäre eine Mietsteigerung von bis zu 40% zu schultern (siehe Abbildung 2 im Anhang). Die Befragung untermauerte somit im Detail – sowohl für die Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 wie auch für das Quartier insgesamt – ganz eindeutig die Grundforderungen aus der eingangs erwähnten Unterschriftenaktion. Wie in dem Kommentar der BZ-Autorin vom 02.10.2017 zu der Situation im Quartier richtigerweise beschrieben, wohnen viele Menschen dort „lieber in schlichten Wohnungen, weil diese in der Regel günstig sind und sie sich teurere nicht leisten können.“ Schlicht bedeutet dabei nicht, dass es sich um heruntergekommene, völlig veraltete Wohnanlagen und Wohnungen handelt. Vielmehr geben die Gebäude dem Quartier im Vergleich zu Neubausiedlungen ein charakteristisches Gesicht und viele Wohnungen wurden in den vergangenen Jahren kernsaniert. Weiterhin tragen die Außenanlagen mit Spielplätzen und alten Baumbeständen wesentlich zu einer hohen Wohnqualität bei.

Der BZ-Bericht vom 02.10.2017 gibt auch wieder, dass bei Familienheim der Umstand der relativ geringen Einkommen vieler Bewohnerinnen und Bewohner bekannt ist und der Vorstand gegenwärtig überlegt, wie die Mietpreise so gestalten werden können, dass die Bewohner der alten Gebäude auch die der neu zu errichtenden Häuser in der Quäkerstr. sein können. Dies wird durch die Ankündigung an die Bewohnerschaft im Schreiben vom 20.09.2017 unterstrichen, wenn es heißt, Familienheim verfolge das Ziel, „die aktuelle Mieterstruktur beizubehalten.“ Wie schon in Bezug auf die Barrierefreiheit stehen laut Vorstand also die jetzigen Bewohnerinnen und Bewohner wiederum im Zentrum der Überlegungen.

Leider scheint in Bezug auf diese Ankündigung Vorsicht geboten. Denn die Projekte und Maßnahmen des Familienheims in den vergangenen Jahren sowie deren Außendarstellung sprechen eine andere Sprache. Dies sei anhand der allgemeinen Entwicklung der durchschnittlichen Grundmieten in der Genossenschaft und anhand von mehreren konkreten Beispielen erläutert:

In den neun Jahren von 2007 bis 2016 stieg die mittlere Grundmiete in den Wohnungen des Familienheims Freiburg pro Quadratmeter kontinuierlich von 5,20€ auf 6,91€ und damit um etwa 33%.5 Damit näherte sich das Familienheim dem Wert des allgemeinen Wohnungsmarktes in Freiburg, der allerdings wesentlich von Akteuren mit eindeutiger Gewinnerzielungsabsicht geprägt ist, deutlich an (siehe Abbildung 3 im Anhang).6

Beleuchtet man diese Entwicklungen genauer, so stellt man fest, dass – überwiegend nach Abriss älterer Gebäude – Neubaumaßnahmen durch das Familienheim realisiert wurden, bei denen günstige Wohnungen durch überdurchschnittlich teure Wohnungen ersetzt wurden. Diejenigen Neubauten mit Grundmieten von 7€ bis 7,90€, die noch ansatzweise im Bereich der bisherigen durchschnittlichen Grundmieten liegen, wurden 2012 in der Buchenstraße in Zähringen in direkter Nachbarschaft zur B3 fertiggestellt (50 Wohnungen) und ersetzen ein 12-stöckiges Hochhaus (49 Wohnungen), das 2010 abgerissen wurde. Hier sind die jetzigen Bewohnerinnen und Bewohner der Neubauten größtenteils bereits vor Einzug Mitglieder der Genossenschaft gewesen (sog. Alt-Mitglieder).

Anders verhält es sich im etwa zur selben Zeit fertiggestellten Areal zwischen Quäkerstr. und Grillparzer Str. in der Wiehre. Hier war 2010 das Anfang der 1950er von Familienheim erbaute Wohnheim St. Luitgard abgerissen worden. In den fünf Neubauhäusern wohnen nun größtenteils Menschen, die für den Bezug der Wohnungen neu in die Genossenschaft eintraten – beispielsweise wird nur eine von acht Wohnungen in der Grillparzer Str. 5 von einem Alt-Mitglied bewohnt – und die in der Lage sind, die Grundmieten bis zu 13,50€ pro m2 (für die Attika-Wohnung) aufzubringen. Hinzu kommen durch die Ausstattung mit Tiefgarage, Fahrstühle, Hausreinigungsservice etc. relativ hohe Betriebskosten (ohne Wärme und Strom), die sich beispielsweise bei einer Vier-Zimmerwohnung mit 116,5m2 auf 230€ pro Monat (inkl. des Tiefgaragenstellplatzes für 55€) belaufen. Eine solche Wohnung im zweiten Stock kostet demnach 1403 € Grundmiete und inklusive der Betriebskosten 1633 € pro Monat. Eine kernsanierte Vier-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock in der benachbarten Adalbert-Stifter-Str. (50er-Jahre-Bau des Familienheims in dem betroffenen Quartier) schlägt dagegen in der Grundmiete lediglich mit etwa 7€ pro m2 zu Buche. Für eine Wohnung mit 87m2 liegt die Wohnungsgrundmiete damit bei 612€ und mit Betriebskosten bei 717€. Damit ist die Vier-Zimmer-Altbau-Wohnung im Vergleich zur Neubau-Wohnung nicht einmal halb so teuer.

Über das Ende 2016 bezogene Mehrfamilienhaus im Meckelhof 13 am Seepark ist auf der Webseite der Genossenschaft zu lesen: „Es trägt die typischen Qualitätsmerkmale eines ‚Familienheims’. Neben der hohen Wohnumfeldqualität sind dies intelligente Grundrisse, eine ansprechende Ausstattung und viel Wohnkomfort. […] Großenteils offene Küchenlösungen und geräumige Terassen (sic!), Balkone oder Loggien zeichnen die Wohnungen aus. […] Generell verleiht die großflächige Verglasung dem Haus die familienheimtypische Großzügigkeit.“ Diese Großzügigkeit schlägt sich auch in den Grundmieten nieder: Diese liegen zwischen 9,50 € und 11€ pro m2.7 Im Übrigen bedeuten die offenen Küchenlösungen den Wegfall mehrerer separater Zimmer und damit gerade für Familien mit Kindern den Verlust an Rückzugsmöglichkeiten. Zudem fallen durch fehlende Wände und die großen Glasflächen Stellflächen weg, so dass die größeren Wohnungen bei gleicher Zimmeranzahl effektiv eine Verschlechterung der Wohnsituation gegenüber den Altbau-Wohnungen nach sich zieht.

Dieses Muster setzt sich auch im Neubau Komturstr./Ecke Rennweg – benachbart zum aufgewerteten Güterbahnhofareal – fort, welcher 2015 bezogen wurde. Das Gebäude ersetzt das 1930 errichtete erste Haus der Familienheim-Genossenschaft in Freiburg. Bezahlte man in diesem Altbau für eine kernsanierte Dreizimmer-Wohnung mit einer Größe von 63,7m2 noch 365€ und damit 5,73 € pro m2 ohne Betriebskosten, so liegt der Preis heute bei 9,50€ bis 10,50€ Grundmiete pro m2. Allerdings stehen Drei-Zimmer-Wohnungen nunmehr erst ab 75m2 bis hin zu einer Größe von 94m2 zu Verfügung. In dem Falle, dass Mitglieder aus einer Drei-Zimmer-Wohnung aus dem Altbau in den Neubau ziehen wollten, mussten sie also mit einer Steigerung von 365€ auf 750€ (bei einer 75m2 Wohnung) oder auf 940€ (bei einer 94m2 Wohnung) rechnen, was selbst im günstigeren Fall mehr als eine Verdopplung der Wohnungsgrundmiete bedeutet.

Die geschilderten Projekte und Entwicklungen führen letztlich zu dem Schluss, dass Familienheim in attraktiver Lage offenbar für gehobene Einkommensklassen Wohnraum schafft. Daraus folgen zum einen Grundmieten von knapp 10€ und mehr pro Quadratmeter in den Neubauten und der oben genannte Anstieg der Durchschnittsgrundmiete über den gesamten Gebäudebestand hinweg in den vergangenen Jahren. Zum anderen werden in den neu geschaffenen Gebäuden wesentlich größer geschnittene Wohnungen angeboten, was zusätzlich zu einer Mietsteigerung führt. Vor diesem Hintergrund stellen sich mehrere Fragen:

  • Welches Gehalt, welche Rente oder welches sonstige Einkommen erfährt in neun Jahren eine Steigerung um 33% analog zu der Steigerung der durchschnittlichen Grundmieten in den Familienheim-Wohnungen?
  • Warum geht der Vorstand davon aus, dass es das Ziel der Genossenschaft sein sollte, genau solchen vollmodernen, großzügigen Wohnraum anzubieten, wie er auf dem freien Markt für zahlungskräftige Mieter in Freiburg ohnehin entsteht?
  • Ist es nicht vielmehr immer schon Zweck von Wohnungsbaugenossenschaften und konkret auch von Familienheim8 gewesen, Menschen mit durchschnittlichem bis unterdurchschnittlichem Einkommen einfachen aber alltagspraktischen und leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen?9

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Entwicklungen, drängt sich leider der Gedanke auf, dass die letzte Frage von Seiten des Vorstands immer deutlicher verneint wird, jedenfalls dann, wenn es um Grundstücke in attraktiver Lage geht. Insofern ist anzunehmen, dass bei den öffentlichkeitswirksamen Einlassungen des Vorstands über zeitgemäßes Wohnen inklusive der Barrierefreiheit die Rede nicht von den aktuellen Genossenschaftsmitgliedern im Quartier am Wiehre-Bahnhof ist, sondern von zahlungskräftigeren Mitgliedern, die zukünftig in der Wiehre wohnen sollen. Daher kann die eingangs zitierte Aussage des Vorstands, auch für zukünftige Generationen zu planen, nur als Bedrohung der Lebensgrundlage der jetzigen Mitglieder im Quartier verstanden werden. Aber die (unbekannten) Interessen zukünftiger Generationen über die Bedürfnisse und Interessen der heute lebenden zu stellen, ist vermessen.

Nicht unterschlagen werden soll an dieser Stelle, dass Familienheim in den vergangenen Jahren auch Unterstützungsleistungen für Mitglieder in den entsprechenden Neubauten organisiert hat. So werden zum Beispiel in der Komturstr./ Ecke Rennweg sowie im Meckelhof Wohnungen über das Programm ‚Bezahlbares genossenschaftlichen Wohnen Baden’ der Erzdiözese Freiburg gefördert, so dass „auch Mitglieder mit geringem oder mittlerem Einkommen in den Genuss dieses ansprechenden Domizils am Flückinger See“ kommen, wie auf der Webseite des Familienheims zu lesen ist.10 Möglicherweise werden die Bewohnerinnen und Bewohner im Quartier am Wiehre-Bahnhof ebenfalls entsprechende Angebote bekommen. Doch diese lösen nicht das Problem der vielen dort lebenden Menschen mit heute schon oder spätestens in der Rente zu erwartenden geringen Einkommen. Eine um 1,50€ auf 8€ geminderte Grundmiete in der Komturstr./ Ecke Rennweg im Vergleich zu früheren 5,73€ stellt eben auch eine Steigerung von etwa 40% dar. Vergrößert wird diese Problematik vor allem dann, wenn, wie oben dargestellt, zusätzlich die Betriebskosten und Wohnungsgrößen steigen. Des Weiteren sind die Hilfsangebote zur Mietenreduktion zeitlich auf 10 Jahre begrenzt. Für Menschen, deren Einkommen in dieser Zeit nicht oder wenig ansteigt – dies trifft insbesondere auf solche mit niedriger Rente und aus einkommensschwachen Berufsgruppen zu – kommt dies einem Bleiberecht auf Zeit gleich. Selbst der in Baden-Württemberg förderfähige Bau von Sozialwohnungen (mit Bindung zwischen 10 und 30 Jahren)11, deren Grundmieten dann 33% unter der ortsüblichen Vergleichsmiete lägen, würde dazu führen, dass beispielsweise die Miete einer Zwei-Zimmer-Wohnung (heute 289€ bei 7€ pro m2) im Neubau je nach Wohnungsgröße voraussichtlich um mindestens 35% bis 55% anstiege.12 Hinzu kämen deutlich höhere Betriebskosten im Neubau. Zudem würden viele der heute im Quartier lebenden Bewohnerinnen und Bewohner den für Sozialwohnungen notwendigen Wohnberechtigungsschein nicht erhalten und wären daher mit noch viel größeren Mietsteigerungen für die restlichen nicht sozialgebundenen Neubauwohnungen konfrontiert.13 Genau auf diesen Aspekt hat der Vorstand selbst bereits in der Mitgliederzeitschrift ‚Familienheim aktuell’ im Oktober 2015 hingewiesen, wenn dort in Bezug auf den Beschluss des Freiburger Gemeinderates zu einer Sozialwohnungsquote von 50% bei Neubau die Frage gestellt wird: „Wie können wir die Differenz zwischen Sozialwohnungsmiete und tatsächlicher Kostenmiete ausgleichen? Indem wir die anderen 50 Prozent unserer freifinanzierten Neubauwohnungen mit einem noch höheren Mietpreis ansetzen? Dies ginge unweigerlich zu Lasten derjenigen Mieter, die zu den Normalverdienern zählen und einen Großteil unserer Mitglieder ausmachen.“14 Und an gleicher Stelle heißt es: „[D]ie enorm gestiegenen Baupreise und zunehmenden Auflagen von Bund, Ländern und Kommunen trieben die Gesamtkosten in den vergangenen 15 Jahren um 40% in die Höhe – sie machen das Bauen so teuer, dass neue Mietwohnungen nicht mehr günstig vermietet werden können.“ Auch aus diesem Grund erscheint es geradezu absurd, den Bestand an leistbarem Wohnraum der Genossenschaft durch den geplanten Abriss der Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 zu reduzieren.

Vor dem aufgezeigten Hintergrund kann die Aussage von Frau Dziolloß: „Ein ganz klares Nein zu Gentrifizierung15“, aus dem BZ-Artikel vom 02.10.2017 leider nur als unglaubwürdige Formel zur Beruhigung von mit Abrissankündigungen konfrontierten Bewohnerinnen und Bewohnern und vor allem der Öffentlichkeit verstanden werden.

Die Modernisierung einer ganzen Siedlung bedeutet mehr als die Modernisierung eines einzelnen Hauses. Es handelt sich angesichts ihres Umfanges und der Befragungsergebnisse der Initiative „Wiehre für alle“ um ein kommunales Politikum im Kontext der allgemeinen Not an leistbarem Wohnraum in Freiburg. „Der Mangel an preisgünstigen Mietwohnungen in der Stadt spiegelt sich auch bei der Familienheim wider.“, so eine Aussage von Frau Dziolloß in der Mitgliederzeitschrift ‚Familienheim aktuell’ im Oktober 2016.16 Nicht zu vermitteln ist es daher, das dieser Mangel im Zuge der in der Wiehre geplanten Maßnahmen noch verstärkt wird, wie es sich durch das Abrissvorhaben der Wohnungen in der Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 leider andeutet.

Zeitgemäß wäre es für die Genossenschaft dagegen, einfachen, leistbaren Wohnraum und daher auch die charakteristischen Familienheim-Gebäude im Quartier am Wiehre-Bahnhof zu erhalten.

 

ANHANG

Abbildung 1: Wünsche der Bewohnerschaft der Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 in Bezug auf die Gebäude betreffende Maßnahmen

Abbildung 2: Leistbare Steigerung der Wohnungsmiete (ohne Nebenkosten) in der Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9

Abbildung 3: Entwicklung der durchschnittlichen Grundmieten (€ pro m2) über den Mietgebäudebestand in der Gesamtstadt Freiburg und bei der Familienheim Freiburg Baugenossenschaft eG (Datenbasis: Geschäftsberichte Familienheim Freiburg Baugenossenschaft eG; für 2013 dort keine Angabe)

1 Das Schreiben an den Vorstand ist abrufbar unter www.wiehre-für-alle.de/presse/

2 Vgl. Badische Zeitung vom 02.10.2017 „Bewohner in der Wiehre haben Angst vor Sanierung und Abriss“ (abrufbar unter http://www.badische-zeitung.de/freiburg/bewohner-in-der-wiehre-haben-angst-vor-sanierung-und-abriss–142739190.html) sowie Basische Zeitung vom 02.10.2017 „Sanierung in der Wiehre: Hauptsache günstig“ (abrufbar unter http://www.badische-zeitung.de/kommentare-1/sanierungen-in-der-wiehre-hauptsache-guenstig–142739551.html)

3 Volker Beuthien: Wohnungsgenossenschaften zwischen Tradition und Zukunft, Göttingen 1992, S. 61

4 Im Zeitraum vom 25.08.2017 bis 11.09.2017 führte die Initiative „Wiehre für alle“ eine schriftliche Befragung der betroffenen Bewohnerschaft durch. Dazu wurden ein Fragebogen samt Anschreiben entwickelt und alle Briefkästen in den betroffenen Wohnanlagen damit bestückt. Die Rücklaufquote betrug 66,2%. Bei den weitgehend mit Ankreuzmöglichkeiten versehenen Fragenkomplexen handelte es sich 1. um die Wünsche der Bewohnerschaft betreffend durchzuführender Maßnahmen (Mehrfachnennung möglich), 2. die Bereitschaft zur vorübergehenden bzw. endgültigen Umsetzung im Zuge der Maßnahmen sowie 3. um Angaben zur leistbaren Steigerung der Wohnungsmiete. In einem 4. Block konnten weitere Wünsche und Anregungen genannt werden. Hierbei wurde mit großem Abstand der Erhalt der Grünflächen als essentiell für die Lebensqualität im Quartier genannt. Die Ergebnisse wurden mit Schreiben vom 18.09.2017 Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft übermittelt. Die Ergebnisse für das Gesamtquartier spiegeln sich in etwa im Ergebnis für die Quäkerstr. 1, 3, 5, 7, 9 wider. Der Bericht zur Befragung ist abrufbar unter www.wiehre-für-alle.de/presse/.

5 Grundlage dieser und der folgenden Aussagen sind die in den Geschäftsberichten von Familienheim der vergangenen Jahre genannten Zahlen (abrufbar unter www.familienheim-freiburg.de/downloads.php).

6 Wie sich dies vor dem Hintergrund eines neuen Mietspiegels in Freiburg aus dem Jahr 2017 und der durchschnittlichen Grundmiete bei Familienheim für das Jahr 2017 darstellt, ist noch unklar.

8 Vgl. hierzu die Webseite des Familienheims: „Die ‚Familienheim’ wurde 1930 gegründet, um durch den gemeinnützigen Wohnungsbau die damals herrschende Wohnungsnot zu bekämpfen. Bereits 1929 war die schlechte Wohnraumversorgung das zentrale Thema und Motto des 68. Deutschen Kirchentages, der in Freiburg stattfand. […] Von Anfang an war unsere wichtigste Aufgabe unsere Mitglieder mit erschwinglichem Wohnraum zu versorgen.“ (http://www.familienheim-freiburg.de/genossenschaft/unsere_wurzeln.php, abgerufen am 11.10.2017)

9 Dass dieser genossenschaftliche Gedanke in der Region noch gelebt wird, zeigt ein aktueller Beitrag in der BZ vom 10.10.2017 zur Baugenossenschaft Familienheim Markgräflerland. Hier wird der Vorstandsvorsitzende Klaus Schulte zitiert: „Wir müssen bezahlbaren Wohnraum anbieten. Mieten von zehn und mehr Euro können von den meisten Menschen nicht mehr bezahlt werden.“ Entsprechend liegen die Grundmieten in 1175 der 1299 Wohnungen der Genossenschaft zwischen 5€ und 7,50€. (http://www.badische-zeitung.de/muellheim/fleissig-saniert-und-weiter-gebaut–143130957.html abgerufen am 10.10.2017).

10 Vgl. http://www.familienheim-freiburg.de/Presse/Aktuell/Meckelhof%2013.php (abgerufen am 09.10.2017). Für das oben genannte Beispiel wurde

12 Die Beispielrechnung beruht auf dem Vergleich einer reale existierenden Zwei-Zimmer-Wohnung in der Quäkerstr. 7 (Größe von 41m2) und zwei „theoretischen“ Wohnungen (48m2 bzw. 60m2) unter Verwendung des aktuellen Freiburger Mietspiegels aus dem Jahr 2017. Nach diesem werden zu einer Basismiete, die von der Wohnungsgröße abhängt, Zu- und Abschläge je nach Ausstattung, Lage, energetischem Gebäudezustand etc. vergeben und daraus die ortsübliche Vergleichsmiete für die entsprechende Wohnung berechnet. Im genannten Fall beträgt die ortsübliche Vergleichsmiete etwa 12,20€ pro m2 (in der 48m2-Wohnung) bzw. 11,25€ pro m2 (in der 60m2-Wohnung). Nach Reduktion um 33% auf die zulässige Grundmietenhöhe für förderfähige Neubau-Sozialwohnungen resultieren unter Berücksichtigung der Wohnungsgrößen die genannten zu erwartenden Mietsteigerungen von mindestens 35% bis 55% im Vergleich zum heutigen Altbau.

13 Möglicherweise würde Familienheim in diesem Kontext argumentieren, dass die Quadratmeterpreise nach Neubau auch für nicht sozialgebundene Wohnungen noch unter der ortsüblichen Grundmiete lägen. Dies wäre allerdings eine unlautere und dem genossenschaftlichen Prinzip entgegenlaufende Verdrehung der Perspektive: Nicht die Menschen vor Ort, deren Bedürfnisse und die bisher dort gezahlten Mieten wären dann der Ausgangspunkt der Überlegungen einer Modernisierung des Wohnraums, sondern ein abstrakter, unpersönlicher Mietspiegel-Wert, an dem sich die Genossenschaft nicht zwangsläufig bei der Gestaltung ihrer Nutzungsentgelte orientieren muss.

15 Nach dem Duden handelt es sich bei ‚Gentrifizierung’ um die „Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird.“ (http://www.duden.de/rechtschreibung/Gentrifizierung, abgerufen am 10.10.2017)

 


Zusätzliche Dokumente:

24.07.2017 Brief_an_Familienheim_-_Unterschriftenaktion_-_2017_07_24

17.09.2017 Bericht_ BewohnerInnenbefragung_2017_09_19